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Glas in Murano

Glas wurde vor rund 4.000 Jahren in Mesopotamien wohl eher zufällig entdeckt, als Nebenprodukt der Eisenverhüttung, wenn Quarzsand mit Asche in der Ofenglut zu Gläsern verschmilzt. Die Glasherstellung wurde über Jahrhunderte fortentwickelt und in Ägypten verfeinert. Man geht allgemein davon aus, dass die ersten Glasprodukte Perlen waren. Die Technik des Glasblasens kam im 1. Jahrhundert v. Ch. auf, zu einem Zeitpunkt, als die Phönizier bereits Glas in großen Mengen kommerziell produzierten; die Römer brachten diese Techniken nach Italien.

In Venedig ist die Glasherstellung erstmals im Jahr 982 urkundlich erwähnt. Ein Erlass von 1291 verbannt die Glasbläser aus der Stadt auf die Lagunen-Inselgruppe Murano, einerseits um die permanente Feuergefahr zu mindern, andererseits aus Gründen der Abschottung und Geheimhaltung des Wissens. Im Jahr 1308 entsteht die Gilde der "fiolani" (Flaschenhersteller) und die Glasperlenhersteller organisieren darin eine eigene Sektion (Arte dei Margariteri). Der Dachverband der Glasbläser gibt sich im Jahr 1441 mit der "Matricola" eine Neufassung seiner Statuten: Die "Mariegola dell'Arte dei Verieri de Muran" ist ein komplexes Regelwerk, das alle handwerklich-technischen, sowie soziale, wirtschaftliche und organisatorische, selbst steuerrechtliche Fragen klärt. Die wichtigsten Glasprodukte im Mittelalter sind Flaschen, Trinkgefäße, Öllampenschalen und rundes (Kirchen-) Fensterglas, das in Blei gefasst werden konnte. Ab 1500 werden die europäischen Handelshäuser mit Spiegeln und Glaswaren aller Art, darunter zunehmend Glasperlen aus gezogenen Strängen, als Zahlungsmittel für den Handel mit Übersee beliefert.

Das 16. Jahrhundert ist geprägt von wichtigen Weiterentwicklungen in der Glasverarbeitung in Murano. Die Innovationen betreffen die Herstellung von undurchsichtigem Glas ("opaque"), von Eisglas (rauh und rissig), das Gravieren von Gläsern mit Hilfe von Diamanten oder Feuersteinen, sowie die Glasbemalung mit Email-Schmelzfarben, darunter Aventurin, eine golden schimmernde, aus Kupfer hergestellte Farbe zur Glasperlenverzierung. Um 1610 existieren auf den Inseln bereits 250 Glasmanufakturen, die Produktion erreicht einen ersten Höhepunkt, der allerdings durch die Pest (1630) jäh beendet wird. Der massive Arbeitskräftemangel zwingt die Glashersteller zur Öffnung nach außen; es werden ortsfremde "Gastarbeiter" engagiert. Die mobilen Glasbläser ringen ihren Arbeitgebern, den Ofenbesitzern, weitreichende Rechte ab. Sozialgesetze und eine gewerkschaftsähnliche Organisation sind die Folge. Die Glasbläser genießen freie Arbeitsplatzwahl und beginnen - z. T. auch armutsbedingt - nach Norden über die Alpen abzuwandern, wo sie in Holland (Amsterdam) und Thüringen (Lauscha) den Aufbau der lokalen Glashütten entscheidend voranbringen. Dennoch haben Glasperlen aus Mitteleuropa nie die Finesse der venezianischen Glasperlen erreicht.

Das 18. Jahrhundert kann als erste Blütezeit der Glasperlenproduktion für den Überseehandel (insbesondere mit Perlen aus gezogenen Strängen wie z. B. Chevrons) bezeichnet werden. Die großen Manufakturen stellen jeweils rund 1.000 kg Glasperlen pro Woche her; Glasperlen werden millionenfach und tonnenweise produziert. Und doch machen trotz ihrer gewaltigen Menge Glasperlen nur einen Teil der Gesamtproduktion in Murano aus. Die Produktpalette umfasst neben Perlen auch Flaschen und Flakons, Trinkgefäße und Vasen, Kronleuchter und Lampen, Spiegel und allerlei Kunst- und Prestigeobjekte. Ganze Paläste und Schlossgärten werden als Miniaturen in Glas nachgebaut. Die wichtigsten Kunden sind europäische Höfe und betuchte Bürger.

Infolge der Eroberung Venedigs durch Napoleon (1806) wird die Glasbläsergilde aufgelöst, die "Matricola" außer Kraft gesetzt, die Produktion bricht ein. Es kommt zur Marktöffnung für Glaswaren aus Deutschland und Böhmen: Bleikristall- und hochglänzende Kaliumcarbonat-Gläser kommen in Mode. Der anschließende Wiederaufbau der Glasproduktion in Murano Mitte des 19. Jahrhunderts geht auf die Familien Bussolini, Bigaglia, und Salviati zurück, die mit der zeitgleichen Einführung des Bunsenbrenners (um 1850) einen erneuten Aufschwung erlangt: die größere Hitze der Gasbrennerflamme (rund 1.500 °C) erlaubt im Vergleich mit bisherigen Öllampen (Verbrennung von Talg) eine schnellere und rationellere Herstellung von Wickelglasperlen (über einer Flamme gedrehte, geformte und verzierte Einzelperlen). In die gleiche Periode fallen auch die Erfindung der "Murrines" und das Revival der Mosaik-Miniaturen, beides Symbole für die Perfektion der Glasbläserkunst in Murano. Als "Murrines" werden sowohl die abgeschnittenen Scheibchen von handgezogenen, mehrfarbigen Glasrohren mit rundem bis sternförmigem Innenmuster im Querschnitt, als auch die daraus zusammengesetzten Objekte bezeichnet. Die Scheibchen können unter Hitze miteinander verschmolzen und anschließend geschliffen werden, zu den berühmten Millefiori-Perlen (seit 1830) oder zu Tellern, Trinkgefäßen und modischen Anhängern. Bei den Mosaik-Miniaturen - einer Technik die auf die Ägypter zurück geht - werden verschiedenfarbige, dünne Glasfäden kunstvoll gebündelt, miteinander verschmolzen und dann in die Länge gezogen, so dass im Querschnitt der Miniatur ein filigranes Bild oder ein präzises Portrait einsteht.

Am Ende des 19. Jahrhunderts kommt es zu einem weiteren Höhepunkt der Glasperlenproduktion in Murano: die Handelshäuser in London, Amsterdam und Hamburg werden massenhaft mit den verschiedensten Glasperlen für den Zahlungsverkehr mit Afrika beliefert, was alte Musterkarten belegen. Die wichtigsten Glasperlenarten sind Chevronperlen, Millefiori, Augen- und Federperlen, sowie bunt bemalte, gedrehte Einzelperlen (vgl. entsprechende Kapitel). An die 100.000 verschiedene Motive werden entworfen. Die Glasperlen werden entweder von Hand über einer Flamme gedreht und verziert oder von gezogenen, z. T. mehrfarbigen Hohlglasrohren abgeschnitten. Die Kanten kleiner Glasperlen werden im Ofen rund geschmolzen ("a ferrata"- Methode); größere Perlen werden von Hand unter Wasserzugabe am Schleifstein geschliffen und mit Weizenkleie und diversen Pasten poliert.

Um 1900 wird die Technik der Säurebehandlung der Perlen entwickelt. Durch Einwirkung von Fluorsäure (Flusssäure, HF) wird der Glanz der fabrikneuen Glasperlen gebrochen, die Glasoberfläche wird matt bis zuweilen rau. Auf jüngeren Musterkarten überwiegen daher die matten Perlen, die zum Ende des Perlenhandels in Mode kommen. Im Jahr 1911 wird die Manufaktur Moretti gegründet, die sich auf die Herstellung von bunten Glasrohren spezialisiert. Sie ist heute in Murano der einzige verbliebene Erzeuger von geblasenen und handgezogenen, mehrfarbigen und mehrschichtigen Glasrohren als Ausgangsprodukte für die Herstellung von modischen Chevrons und "Murrines".

 
 
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